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Ars brevis

Dieses 1308 in Pisa geschriebene Werk war die am meisten gelesene und am weitesten verbreitete Fassung der Ars. Hierin zeigt sich das für die zweite Phase typische Bestreben, die Prinzipien der Ars zu vereinfachen. Die Ars brevis beginnt mit einer Erklärung, wonach sie mit dem Zweck verfasst wurde, den Zugang zur „Großen Kunst“ zu erleichtern, insbesondere zur Ars generalis ultima (1305-1308).

Die graphischen Mittel, durch die die Ars sowohl in der Ars brevis als auch in der „Großen Kunst“ sichtbar wird, sind die Figuren und das Alphabet.

Die Figuren

Figur A und Figur T sind Kreise, auf deren Peripherie Buchstaben abgetragen sind.

Figur A zeigt die neun grundlegendsten Prinzipien der Ars. B: Güte, C: Größe, D: Dauer/Ewigkeit, E: Macht/Autorität, F: Weisheit, G: Wille/Streben, H: Tugend, I: Wahrheit, K: Herrlichkeit.

Figur T besteht aus drei versetzt übereinander gelegten Dreiecken, jedes in einer anderen Farbe, die innerhalb eines Kreises angeordnet sind. Ausgedrückt werden drei Triaden von Konzepten.

B: Unterschied – C: Übereinstimmung – D: Gegensätzlichkeit (grün)
E: Anfang – F: Mitte – G: Ziel (rot)
H: Größersein – I: Gleichheit – K: Kleinersein (gelb)

Die Dritte Figur hat die Form eines Dreiecks und enthält „Kammern“ oder Paarungen aller möglicher Zweierkombinationen ohne Wiederholung der ersten beiden Figuren.

Die Vierte Figur ist kreisförmig und rotiert. Auf einer feststehenden runden Fläche, die mit den neun Buchstaben von B bis K gekennzeichnet ist, sind zwei kleinere Kreise aufgetragen, auf denen dieselben Buchstaben abgetragen sind und die sich um den gemeinsamen Mittelpunkt drehen können. Dieses Mittel dient dazu, „Kammern“ von jeweils drei Buchstaben hervorzubringen, indem die inneren Kreise gedreht werden. In der Tabula generalis (1293-1294) präsentiert Llull eine „Tafel“ mit allen Dreierkombinationen ohne Wiederholung, die die Zahl 1680 erreichen – die Vierte Figur der Ars brevis fasst diese Funktion der Ars zusammen.

Das Alphabet

Was das Alphabet anbelangt, so bedient sich die Ars brevis der Buchstaben A und T, um die mit den Prinzipien verbundenen Figuren zu bezeichnen, während die neun Buchstaben von B bis K unterschiedliche Werte annehmen, je nachdem, ob sie die Prinzipien der Figur A, die Prinzipien der Figur T oder solche von vier weiteren Reihen von Konzepten, die das Alphabet der Ars brevis ausmachen, repräsentieren.

Die vier Reihen zusätzlicher Konzepte sind folgende:

  • Fragen oder Regeln. B: Ob?/Möglichkeit. C: Was ist es?/Wesen. D: Woher/Woraus ist es?/Materie. E: Warum ist es?/Form. F: Wieviel ist es?/Quantität. G: Wie beschaffen ist es?/Qualität. I: Wann ist es?/Zeit. H: Wo ist es?/Ort. K: Wie ist es?/Art und Weise und Womit ist es?/Instrument.
  • Subjekte. B: Gott. C: Engel. D: Himmel. E: Mensch. F: Vorstellungskraft. G: Sinnenkraft. H: Vegetative Kraft. I: Elementare Kraft. K: Instrumentale Kraft.
  • Tugenden. B: Gerechtigkeit. C: Klugheit. D: Stärke. E: Mäßigkeit. F: Glaube. G: Hoffnung. H: Nächstenliebe. I: Geduld. K: Mitleid.
  • Laster. B: Geiz. C: Völlerei. D: Unkeuschheit. E: Hochmut. F: Trägheit. G: Neid. H: Zorn. I: Lüge. K: Unbeständigkeit.

Die Ars brevis orientiert sich an der umgearbeiteten Version der Logik, wie Llull sie in der Logica nova (1303) behandelt. Die „Kammern“, die zwei oder drei Konzepte enthalten, entsprechen daher den Propositionen und Syllogismen. Die Ars lehrt, wie man alle Propositionen und Syllogismen von den im Alphabet enthaltenen Begriffen ausgehend „finden“ kann und wie man feststellen kann, ob sie wahr oder falsch sind. Der Baum des Wissens (1295-1296) hingegen zeigt, wie die Struktur der Prinzipien und Beziehungen in der Ars brevis mit dem Ganzen der intelligiblen Welt verbunden ist.

Die Ars brevis besteht aus dreizehn ausgesprochen dichten Teilen. Der erste Teil stellt das Alphabet vor, der zweite die Figuren, der dritte die Definitionen der Prinzipien, der vierte die Regeln, der fünfte die Tabelle, der sechste die Ausschöpfung der Dritten Figur, der siebente die Vervielfachung der Vierten Figur, der achte das „Verknüpfen“ („mixtio“) oder Kombinieren der Prinzipien und Regeln, der neunte die neun Subjekte, der zehnte die Anwendung [der Ars], der elfte die Fragen, der zwölfte das Einüben [der Ars], der dreizehnte „die Methode, diese Kunst zu lehren“.

Siehe: Anthony Bonner, Selected Works of Ramon Llull (Princeton: Princeton University Press, 1985), Bd. I, S. 569-646.