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Ramon Llull und die Bekehrung der Juden

Das missionarische Ziel der Kunst Ramon Llulls brachte es mit sich, dass seine Beziehung mit den jüdischen Gemeinden im Kontext der religiösen Polemik stattfand. In der Zeit Ramon Llulls hatten sich die Predigerorden bzw. Dominikaner die Bekehrung der Juden (wie auch die der Muslime) auf die Fahnen geschrieben. Der Orden betrieb intensive Vorbereitungen für seine missionarischen Aktivitäten im Königreich Aragon. Verschiedene Schulen wurden dort gegründet, die dem Studium der hebräischen Sprache und der Bibel gewidmet waren, um die „Fehler“ zu entdecken, die die jüdische Tradition in ihrer Interpretation der heiligen Schriften begangen hatte. Ramon Martí, der den Anweisungen zweier Mitglieder dieses Ordens, Ramon von Penyafort und Thomas von Aquin, folgte, war der wichtigste Vertreter anti-jüdischer Polemik im 13. Jahrhundert. So verfasste er von 1250 an polemische Abhandlungen (Capistrum judaeorumPugio fidei), trug zur Ausbildung der Novizen bei und versuchte den Herrscher von Tunis zu bekehren, jedoch ohne Erfolg. Grundlage der Methode der Dominikaner waren Diskussionen über die Bedeutung bestimmter Bibelstellen. Die Ars sollte eine pragmatische Alternative zu der Debatte bestimmter schriftlicher Autoritäten darstellen, da diese zu unlösbaren und fruchtlosen Konfrontationen führte. Genau dies war nämlich das Ergebnis der öffentlichen Dispute zwischen jüdischen und christlichen Gelehrten in Paris (1240) und Barcelona (1263). Llull hingegen wollte durch „notwendige Gründe“ die Wahrheiten des Christentums (die Dreieinigkeit, die Fleischwerdung Christi) in einer einfachen und rationalen Weise beweisen. Die Stärke der Beweise, die er dafür verwendete, sollte automatisch zur Bekehrung der Juden (bzw. der Ungläubigen im Allgemeinen) führen.

Vgl.: Anthony Bonner, „L’Apologètica de Ramon Martí i Ramon Llull davant de l’Islam i del Judaisme“, El debat intercultural als segles XIII i XIV. Actes de les I Jornades de Filosofia Catalana (Girona, 1988) = Estudi General, 9, 1989, S. 171-185; Harvey Hames, The Art of Conversion. Christianity and Kabbalah in the Thirteenth Century (Leiden, Brill, 2000).

Im Buch vom Heiden tritt ein weiser Jude auf, der die Prinzipien des mosaischen Glaubens in dem höchst ungewöhnlichen Zusammenhang einer religiösen Polemik darlegt. Ramon zeigt dabei, dass er selbst über angemessene Kenntnisse der Besonderheiten des jüdischen Glaubens verfügte. In seiner Darstellung dieses Glaubens in der Doctrina pueril zeigt er allerdings deutlich weniger Respekt. Später sollte Llull einen Liber de praedicatione contra judaeos schreiben, und 1299 erteilte Jakob II. ihm eine besondere Genehmigung, in allen Synagogen seines Herrschaftsgebiets zu predigen.

Was den Einfluss jüdischer Philosophie und Mystik auf das Denken Ramon Llulls anbelangt, so betrifft dies in erster Linie die kabbalistische Theorie der heiligen Buchstaben, die sich in der Ars in der Wiedergabe der göttlichen Würden durch Buchstaben niedergeschlagen haben könnte. Moshe Idel hat dabei eine bestimmte Parallele zu einem Kommentar zum Sefer Yetzirahherausgestellt, einem grundlegenden Werk der Kabbalah, der in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts von Moses ben Nahman bzw. Nahmanides geschrieben wurde, einem Gelehrten der jüdischen Gemeinde von Girona.

Vgl.: Moshe Idel, „Dignitates and Kavod: two Theological Concepts in Catalan Mysticism“, Studia Lulliana, 36 (1996), S. 69-78.

Was umgekehrt den Einfluss der Ars auf die jüdischen Gemeinden anbelangt, so sind hebräische Übersetzungen von Llulls Werken, etwa der Ars brevis, bezeugt.

Vgl. Hames, Harvey, „Jewish Magic with a Christian Text: A Hebrew Translation of Ramon Llull’s Ars Brevis“, Traditio 54 (1999), S. 283-300.